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Ein Wahlkampf, der nicht stattfand

«Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!» – mit diesem Zitat des Lincoln-Biographen Carl August Sandberg haben Generationen von Pazifisten für ihre Sache geworben. Wie sich das Alleinsein an der Front anfühlt, musste Martin Pfister als Nationalratskandidat am eigenen Leib erfahren. Er zählt mit Sicherheit zu den Pazifisten und hat keinen Krieg provozieren wollen. Ihm hätte das offene Wortgefecht genügt. Dazu ist es aber nicht gekommen, denn das bürgerliche Lager hat sich ihm auf der ganzen Linie verweigert. Eine überparteiliche Veranstaltung, für die er seit Juni eine Allianz zu schmieden suchte, wurde vereitelt. Man gab keinen Boden preis, auf dem seine unerwünschte Saat hätte aufgehen können.

Ein blinder Fleck?

Vielleicht war es naiv vom Präsidenten der SP Innerrhodens zu glauben, was bei Sachfragen möglich sei, lasse sich auch im Wahlkampf realisieren. Er war in jüngerer Zeit der Initiator etlicher überparteilicher Podien zu eidgenössischen Abstimmungen. Doch es ist einfacher, sich über den Sinn etwa des Steuerwettbewerbs zu streiten, als dem Amtsinhaber den einzigen Sitz im Nationalrat abzujagen. Der Angriff gilt als Tabubruch. Martin Pfister übersah indes nur scheinbar, dass Innerrhoden in aller Regel mit überwiegender Mehrheit klar rechts der Mitte votiert. Er hat dies längst erkannt und will es ändern. Von den Rezepten der SP Schweiz ist er restlos überzeugt. Sie würden nur zu wenig gewürdigt in Innerrhoden, sagt er.

Auf Distanz gegangen

Ob Daniel Fässler seinen Getreuen ein Stillhalten bezüglich öffentlicher Debatte nahe gelegt hat oder ob die Partei- und Verbandsspitzen selber darauf gekommen sind, sei dahingestellt. Es tut hier nichts zur Sache. Blickt man auf die Abstimmungsergebnisse von 2011, war nur ein Schluss zu ziehen: Der offene Schlagabtausch hätte einzig dem linken Kampfkandidaten etwas gebracht; der Landammann musste für zusätzliche Publicity wirklich nicht aktiv besorgt sein. Nicht zu übersehen ist im übrigen, dass unter den bürgerlichen Spitzen auch Leute sind, die von Pfister vor einer Session mit Banane beschenkt wurden («Wir wollen keine Bananenrepublik»), was man ihm bis heute nicht verziehen hat. Die Aktion war unzimperlich und wohl auch unklug. Auch die GFI, die nach seinem Auszug mit Getreuen – zwecks Gründung eben dieser der SP AI – geschwächt zurückblieb, hat sich ihm verweigert. Man wirft Pfister auch andernorts mangelnden Realitätssinn, Kompromisslosigkeit und stures Festhalten an seiner Parteidoktrin vor. Man bediente sich also eines bewährten Rezepts gegen weiteres Ungemach: «Am beschte, me lohts gää nüd uufcho!»

Vorwurf: Redaktion tickt links

Im Umgang mit der linken Minderheit gerät bisweilen auch unsere Redaktion ins Kreuzfeuer. Der Appenzeller Volksfreund räume ihr zu viel Platz ein, wird genörgelt. Kürzlich sprach ein «gutbürgerlicher Parteichef» als Beispiel nicht Pfisters Wahlkampf an, sondern das traditionelle «Dreikönigsgespräch» der GFI. Wenn sich dort ein gutes Dutzend mit einem gewählten Regierungsmitglied zusammensetze und unbequeme Fragen stelle, werde hernach ein mindestens halbseitiger Bericht publiziert. Der Kritiker übersieht dabei, dass drei Viertel des Textes aus den rechtsbürgerlichen Antworten des jeweiligen Würdenträgers bestehen. Fazit: Auch «linke» Kräfte können rechte Wahrheiten ans Tageslicht bringen – was durchaus Sinn der Sache wäre.

Meinungen bekannt machen

Der Volksfreund ist der Meinungsvielfalt verpflichtet. Würden wir nur mehr dort antreten, wo grosses Publikum zu erwarten ist, könnten wir uns tatsächlich auf Folklore beschränken. Ein Journalist, der seine Arbeit tut, ist nicht immer gleich ein Sympathisant des jeweiligen Veranstalters. Er fragt sich aber manchmal, wo die Sympathisanten bleiben, wenn es um die Wurst geht. Konkret: Wo waren jene 739 Wählerinnen und Wähler, die für Martin Pfister gestimmt haben, als er zum öffentlichen Podium lud? Die magere Beteiligung jenes Abends ohne Daniel Fässler lässt den Schluss zu, dass man über die diskrete Form der Urnenabstimmung nicht unglücklich war. Ohne Risiko ungültig einlegen oder für den absehbar Unterliegenden stimmen konnten nämlich auch heimliche Kritiker des Systems und die Gegner des Doppelmandates, das 2011 weit deutlicher im Fokus stand. Die magerste Stimmbeteiligung im nationalen Vergleich ist wohl fehlender Spannung zuzuschreiben. Im aktuellen politischen Umfeld hätte ein Kampfkandidat aus den Reihen der SVP mehr Unruhe provoziert.

Der Dialog muss sein

Innerrhoden braucht einen Stachel im Fleisch. Es hat Schimpftiraden eines Marödli, harsche Kritik eines Emil Grubenmann und unpopuläre Aktionen einer Sybille Neff unbeschadet überstanden wie auch Attacken der einst noch bissigeren GFI. Das zunehmend selbstzufriedene Land am Alpstein wird auch mit Pfisters Aktionen leben lernen. Dass er als gebürtiger Zürcher das ungeschriebene Gesetz missachtet, welches besagt, dass man einem Gewählten sein Amt nicht streitig macht, ist ihm grosszügig nachzusehen. Es wird ohnehin nicht mehr lange gelebt werden können, denn auf dem Tisch liegt eine Initiative, die Kampf- und echte Bestätigungswahlen geradezu unumgänglich macht. Gemeint ist die Aufhebung der Bezirke des inneren Landesteils, wie von Rolf Inauen gefordert. Sollte das Vorhaben ohne Gegenvorschlag durchs Parlament gehen und vor der Landsgemeinde dereinst eine Mehrheit finden, wird eines der wichtigsten Kriterien bei der Kandidatensuche für Wahlen in die Standeskommission mehr oder weniger wegfallen – die Exekutiverfahrung. Nur die Oberegger (die ihren Bezirksrat laut Initiativtext behalten dürften) und bewährte Schul- und Kirchenräte hätten solches zu bieten. Damit steigt das Risiko, dass Amtsanwärter nach ehrenvoller Wahl nicht das bringen, was man von ihnen erwartet. Es wird vermehrt Amtsträger geben, die – einmal an der Macht – unangenehm über sich hinauswachsen und solche, die der Aufgabe nicht gewachsen sind. Die Kampfwahl wird als Korrektiv einspringen müssen, wie dies am vergangenen Sonntag im Bundeshaus der Fall war.

Rolf Rechsteiner

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